Inklusion darf kein Lippenbekenntnis bleiben
Neues Präsidium für den größten Träger der OÖ Behindertenhilfe
Stefan Hutter ist neuer Präsident der Lebenshilfe Oberösterreich. Neben dem bisherigen Vizepräsidenten Dr. Josef Stockinger wurden Ing. Michael Fröschl und Mag. Birgit Brunsteiner neu als Vizepräsident*innen gewählt. Das neue Präsidium wünscht sich: Inklusion darf kein Lippenbekenntnis bleiben und fordert diese vom Kindesalter bis hin zur Arbeitswelt. Einen Lösungsansatz in Bezug auf die Beschäftigung sieht es in der Integrativen Beschäftigung, die gezielt ausgebaut werden soll.
Nach sechs Jahren als Präsidentin der Lebenshilfe Oberösterreich übergab Helga Scheidl das Amt an den bisherigen Vizepräsidenten DI Stefan Hutter. Das neue Präsidium der Lebenshilfe Oberösterreich startet mit Unternehmergeist und Tatendrang in seinen ehrenamtlichen Dienst. „Wir wollen lauter werden und einen engen Austausch mit den einzelnen Ortsstellen des Vereins pflegen“, so das neue Präsidium.
Starke Stimme aus dem Angehörigenkreis
Alle neu in das Vorstandsteam der Lebenshilfe Oberösterreich gewählten Personen kommen aus dem Angehörigenkreis von Menschen mit Beeinträchtigung: Stefan Hutter ist der Bruder einer Frau mit intellektueller Beeinträchtigung, Birgit Brunsteiner und Michael Fröschl sind Eltern von Menschen mit Beeinträchtigung. „Die Lebenshilfe Oberösterreich ist aus einer Elternorganisation heraus entstanden. Damit haben wir ein Alleinstellungs-merkmal, das uns von anderen Trägern der Behindertenhilfe unterscheidet. Als Angehörige von Menschen mit Beeinträchtigung sind wir als Vorstand nahe an den Anliegen, die unsere Vereinsmitglieder – ebenfalls Angehörige - einbringen“, sagt Lebenshilfe-Präsident DI Stefan Hutter Das Präsidium vertritt rund 2.500 Mitglieder des Vereins Lebenshilfe Oberösterreich, die in 22 lokale Vereinigungen von Angehörigen, den sogenannten „Arbeitsgruppen“, organisiert sind. Diese bringen sich ergänzend zu den ausgebildeten Mitarbeiter*innen ehrenamtlich unterstützend ein.
Alle Funktionär*innen der Lebenshilfe Oberösterreich leisten ihre Arbeit ehrenamtlich und unentgeltlich.
DI Stefan Hutter ist hauptberuflich im Wohnbau tätig, 2017 startete er als Kassier der Arbeitsgruppe Linz seinen Einsatz für die Lebenshilfe Oberösterreich, seit 2019 gestaltet er die Lebenshilfe Oberösterreich als Vizepräsident mit. Seine Schwester Birgit ist 54 Jahre alt, wohnt in einem Wohnhaus der Volkshilfe und ist in der Werkstätte Linz Klausenbachstraße der Lebenshilfe beschäftigt. Der 52jährige Linzer ist Vater von drei Kindern. „Ich engagiere mich in der Lebenshilfe, weil ich durch meine Schwester seit vielen Jahren weiß, welch großartige Arbeit die Mitarbeiter*innen der Lebenshilfe erbringen und wie positiv die Zusammenarbeit zwischen den ehrenamtlichen Arbeitsgruppen und den Einrichtungen wirken kann. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.“
Mag. Birgit Brunsteiner ist selbstständig im Bereich Kommunikation, Journalismus und Moderation. Ihr 13-jähriger Sohn Noah lebt mit dem Down Syndrom. Die Vöcklabruckerin ist Redakteurin beim oberösterreichischen Privatsender LT1 und engagiert sich seit der Geburt ihres Sohnes ehrenamtlich für Menschen mit Down Syndrom. Sie gründete mit anderen den Verein 46+1 Down Syndrom, bei dem sie seit mehr als 10 Jahren Obfrau ist. Seit 2009 ist die 46-Jährige in der Arbeitsgruppe Vöcklabruck aktiv. Dass sie Worten auch Taten folgen lässt, bewies sie bereits bei der Organisation zahlreicher Veranstaltungen, die Anliegen von Kindern mit Beeinträchtigungen ins gesellschaftliche Bewusstsein bringen sollten, unter anderem ein Schaukochen mit dem bekannten Fernsehkoch Mike Süsser. Sie war mit Down Syndrom Österreich auch federführend daran beteiligt, dass eine Neugeboreneninformation zum Thema Down Syndrom in fast allen österreichischen Krankenhäusern aufliegt.
Ing. Michael Fröschl ist selbstständiger Tischlermeister, Vater von drei Kindern und seit 1999 in der Arbeitsgruppe Perg aktiv, davon 14 Jahre als Obmann. Seit 2015 vertritt er die Interessen der Vereinsmitglieder zusätzlich auch im Landesvorstand. Seine Tochter Elisabeth ist 26 Jahre und schwer beeinträchtigt. Sie wohnt seit Juni 2020 im Wohnhaus Grein und wird in der Werkstätte Grein von der Lebenshilfe begleitet. Der 50-Jährige aus Grein sieht sich durch seine langjährige Erfahrung in der Arbeitsgruppe als Brücke zwischen Landesvorstand und Mitgliedern der Arbeitsgruppe sowie starke Stimme von Angehörigen von Menschen mit schwerer Beeinträchtigung. Michael Fröschl absolvierte auch zwölf Monate Zivildienst in einem Wohnhaus der Lebenshilfe und hat dabei wertvolle Erfahrung in der Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung sammeln können.
Dr. Josef Stockinger ist pensionierter Generaldirektor der OÖ Versicherung, ist seit 2011 für die Lebenshilfe aktiv und hat seit 2015 das Amt des Vizepräsidenten inne. Der frühere Landesrat bringt einen Fundus an Managementerfahrung und Kontakten mit. „Es ist mir ein Anliegen, mein Know-How, meine Erfahrung und meine Netzwerke einem Bereich zur Verfügung zu stellen, dessen kleine aber engagierte Lobby vorwiegend aus Betroffenen und Angehörigen von Menschen mit Beeinträchtigung besteht“, sagt Stockinger.
Größte Organisation zur Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigung in Oberösterreich wächst weiter
Die als Verein geführte Lebenshilfe Oberösterreich begleitet knapp 2.000 Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung und ist somit der größte Träger der OÖ Behindertenhilfe. Fast 1.600 Mitarbeiter*innen werden von der Lebenshilfe Oberösterreich an mehr als 100 Standorten in Werkstätten, Wohneinrichtungen, mobiler Betreuung, Kindergärten, Frühförderstellen und einem heilpädagogischen Hort beschäftigt. Von den ca. 3.000 voll- und teilbetreuten Wohnplätzen für Menschen mit Beeinträchtigung in Oberösterreich betreibt die Lebenshilfe Oberösterreich 592, bei den Werkstättenplätzen sind es mit 1.524 ca. 45 % des Gesamtangebots.
„Trotz einem Aufschwung beim Schaffen von neuen Wohnhäusern warten noch immer viele Menschen mit Beeinträchtigung und deren Angehörige, insbesondere Eltern, auf Wohnplätze“, weiß Lebenshilfe-Präsident Stefan Hutter. Gleichzeitig werden Menschen mit Beeinträchtigung dank guter Betreuung und medizinischer Versorgung immer älter, weshalb vor allem jüngere Menschen mit Beeinträchtigung lange auf einen Wohnplatz warten müssen. „Zumindest bis zum 40. Geburtstag sollte jeder Mensch mit Beeinträchtigung einen Wohnplatz haben“, setzt sich der neue Vorstand ein Ziel. Die Lebenshilfe Oberösterreich wächst daher aktuell besonders im Wohnbereich weiter, aber auch inklusive Beschäftigungsformen werden vorangetrieben. So wurden im vergangenen Jahr etwa der fünfte von der Lebenshilfe betriebene Hofladen eröffnet und zwei Wohnhäuser gingen in Betrieb. Für 2023 bis 2025 hat die oberösterreichische Landespolitik die Schaffung von 300 dringend benötigten Wohnplätze für Menschen mit Beeinträchtigung beschlossen – davon sollen an die Lebenshilfe Oberösterreich 16 vollbetreute Plätze in Steyr, 16 vollbetreute
Plätze in Linz sowie im Bezirk Vöcklabruck 16 vollbetreute sowie sechs Plätze begleitetes Wohnen gehen.
Als Angehörige von Menschen mit Beeinträchtigung wissen die neuen Funktionäre der Lebenshilfe ganz genau, dass das Fehlen von Wohnplätzen für betroffene Eltern ein Zurücknehmen des eigenen Gestaltungsfreiraumes bedeutet. „Meine Tochter Elisabeth hat erst kürzlich einen Wohnplatz erhalten. Das bedeutet für uns als Eltern eine enorme Entlastung, wenn wir nicht 24/7 für ihre Betreuung und Pflege zuständig sind und Elisabeth in fachkundigen Händen aufgehoben wissen“, sagt Vizepräsident Michael Fröschl.
Es gilt jedoch nicht nur Wohnplätze zu schaffen, sondern auch Mitarbeiter*innen für die Wohnplätze zu finden. „In Unterweissenbach konnte erstmals die Inbetriebnahme eines Wohnhauses aufgrund von Personalmangel nicht zum gewünschten Termin stattfinden. „Der Fachkräftemangel im Bereich der Pflege spitzt sich zu“, stellt Mag. Gerhard Scheinast fest. Der Verein Lebenshilfe Österreich will mit seinen Funktionären in den Regionen einen Beitrag leisten, um eine hohe Kontinuität der Mitarbeiter*innen zu unterstützen. „Kontinuität der betreuenden Personen ist vor allem für Menschen mit Beeinträchtigung wichtig. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung nicht immer einfach, jedoch sehr bereichernd und sinnstiftend ist. Daher werden wir den Mitarbeiter*innen an den einzelnen Standorten besondere Wertschätzung entgegenbringen“, sagt Stefan Hutter.
Streben nach einem Miteinander als großes Zukunftsziel
Ob in der Geschäftsführung, im Vereinsvorstand oder in den Einrichtungen vor Ort – alle Mitwirkenden eint das Streben nach Inklusion. „Das Streben nach einer inklusiven Gesellschaft, in der alle gleichwertige Mitglieder sind, unabhängig von ihren Fähigkeiten, Einstellungen oder Einschränkungen, ist fest in unserem Leitbild verankert“, so Geschäftsführer Mag. Gerhard Scheinast. Auf dem Weg der Inklusion muss sich vor allem die Gesellschaft ändern. Anstöße dafür zu liefern, sieht die Lebenshilfe Oberösterreich als ihre Aufgabe.
„Durch die Geburt meines Sohnes habe ich einerseits gemerkt, wie wichtig Unterstützung für Menschen mit Beeinträchtigung ist, andererseits aber auch, dass sie oft fehlt. In vielen Bereichen ist noch viel zu tun, vom Kindergarten bis hin zur Arbeitswelt“, sagt Birgit Brunsteiner. Sie wünscht sich auch mehr Freizeitangebote für Menschen mit Beeinträchtigung und diese nicht abgesondert von anderen Menschen, sondern in Vereinen und Institutionen. „Man mag sich als Mutter gar nicht vorstellen wie es ist, wenn man einmal nicht mehr da ist, um seinen beeinträchtigten Sohn zu unterstützen und ihm Partizipation und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Da braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft“, so Brunsteiner weiter.
Integrative Beschäftigung: Rund 400 von der Lebenshilfe begleitete Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten in Wirtschaftsbetrieben mit
„Die Integrative Beschäftigung ist ein sehr wirkungsvoller Treiber der Inklusion“, erklärt Geschäftsführer Mag. Gerhard Scheinast. In Form einer Integrativen Beschäftigung können Menschen mit Beeinträchtigung außerhalb der Lebenshilfe-Werkstätten bei Unternehmen, Vereinen oder Privatpersonen arbeiten. Es entsteht kein Dienstverhältnis, die Beschäftigten bleiben bei der Lebenshilfe versichert. Die Kooperation wird mit jedem Unternehmen individuell vereinbart und Tätigkeitsfeld, Abgeltung der Leistung sowie Beschäftigungszeiten flexibel fixiert. Rund 400 Personen sind aktuell bei mehr als 100 Kooperationspartnern der Lebenshilfe in ganz Oberösterreich beschäftigt, darunter namhafte Unternehmen wie Spar, Rewe, Ikea, Obi, Möbelix, Fronius, Topalit, Schachermayer, Sensenwerk Sonnleitner, Terra Verde, MSV Pichling, Verpackungsstadl, Bellaflora, Buburuza Eis, aber auch kleine Unternehmen wie Frisöre, Tiergärten und Tierheime bis hin zu öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Gemeinde, Bauhöfen, Altstoffsammelzentren und Seniorenheimen. Auch inklusive Beschäftigungsformen werden vorangetrieben. So wurde im vergangenen Jahr etwa der fünfte von der Lebenshilfe betriebene Hofladen eröffnet. Vizepräsident Michael Fröschl geht mit guten Beispiel voran: auch er beschäftigt in seinem Betrieb zwei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung im Rahmen der Integrativen Beschäftigung und will seine positiven Erfahrungen in seiner neuen Funktion auch weitergeben.
Eine Bereicherung für das Unternehmen
Michael Fröschl führt seit 30 Jahren eine Tischlerei mit zehn Mitarbeiter*innen, seit drei Jahren ist Peter Gstöttmeier, Beschäftigter der Werkstätte Grein, einmal wöchentlich in der Tischlerei Fröschl, um die Werkstätte zu kehren und zu reinigen. Florian Stix, ebenfalls ein Mensch mit intellektueller Beeinträchtigung, arbeitet seit etwa einem halben Jahr jeden Vormittag in der Produktion mit. „Peter ist immer ganz beleidigt, wenn er zB Coronabedingt nicht kommen darf. Die Arbeit macht ihm großen Spaß“, weiß Michael Fröschl. Auch für Florian Stix ist die Arbeit in der Tischlerei eine Bereicherung. Für ihn wurde ein Arbeitsplatz geschaffen, an dem er mehrere einfache, immer wiederkehrende Arbeiten erledigt. „Als Unternehmer muss man sich nur klar darüber werden, welche Tätigkeiten an Menschen mit Beeinträchtigung abgegeben werden können. Die Mitarbeiter*innen der Lebenshilfe helfen gerne bei dieser Überlegung“, sagt Michael Fröschl. Ihm ist es ein Anliegen, bei möglichen neuen Partnern für die Integrative Beschäftigung Ängste abzubauen und Chancen aufzuzeigen. „Es sind nur die tatsächlichen Anwesenheitszeiten zu entlohnen und das Arbeitsverhältnis ist jederzeit lösbar. Man geht daher kein Risiko ein“, betont er. Gleichzeitig sieht er in der Integrativen Beschäftigung eine Bereicherung für das Unternehmen. „Die Integrative Beschäftigung ist eine schöne Erfahrung für Unternehmer und Mitarbeiter*innen und eine große Chance, soziale Verantwortung zu übernehmen, die auch eine Au
10.11.2021